Warum Rebellion heilsam ist

… oder „Sei selbst der Kapitän deines Schiffes.“


Kennt ihr diesen heimlichen Drang nach Rebellion?

Es ist wie ein Sog, den ich gelegentlich (oder auch öfter) empfinde, der mich dann veranlasst beim Abwaschen genau ein Teil einfach in der Spüle stehen zu lassen. Getreu dem Motto: „Die Aufgabe ist erledigt, aber es ist nicht perfekt. Ich habe die Aufgabe zwar erledigt, aber nicht, wie es von mir erwartet wird. Und eigentlich stimmt es erst richtig, wenn es nicht stimmt.“ Äh, ja, …. klingt unlogisch? Überhaupt nicht!

Innerlich denke ich dann: „Das mach ich jetzt nicht mehr. Nö, einfach Nö!“ Ich dachte eigentlich mein innerer Rebell (das ist extra in der männlichen Form geschrieben, weil mein innerer Rebell ganz klar ein Mann ist) wird mit dem älter werden ruhiger oder gar gänzlich schwinden, aber jetzt bin ich bald 40 Jahre alt und ich hab es mittlerweile aufgegeben dies zu glauben. Geschweige denn zu hoffen. Im Gegenteil, ich hab ihm in meinem Herzen ein Stübchen eingerichtet, damit er es gemütlich hat. Eigentlich kann ich mir ein Leben ohne ihn auch nicht mehr vorstellen.

Als Mutter ist das Leben fremdbestimmt. Ich trage Verantwortung für Dinge, über die ich gar keine Kontrolle mehr habe, was mich mitunter mit dem Gefühl belegt, als würde ich in einer Achterbahn sitze. Ich bin mittendrin und hab mich auch dazu entschieden einzusteigen, aber dann ist es schon sehr aufregend und Loopings? Davon war doch nicht die Rede, oder? Und wo bitte ist der Not-Ausgang?

Es erscheint Ihnen vielleicht merkwürdig, dass das liegenlassen von Geschirr in der Spüle rebellisch sein soll. Für mich ist es meist der letzte mögliche Funke Rebellion in einem sehr durchstrukturierten Leben. Aber diesen Funken Rebellion bewahre, zelebriere und lebe ich mit Inbrunst und völlig unabdinglich. Nicht nur beim Abwaschen 😉

Manchmal muss ich dann über mich selbst lachen. Wenn ich mich daran erinnere wie ich als wütender Teenie war. Ist das wirklich schon so lange her? Ich lag mitunter im Bett meine Mutter rief mich und ich hatte das dringende Gefühl meinen Mund nicht öffnen zu wollen. Es ging einfach nicht. Ich wollte einfach nicht sprechen. Sie wollte, dass ich antworte. Ich wollte nicht, dass ich ihr antworte. Punkt.

Wisst ihr noch, wie es war, als ihr 12, 13, 14, 15, 16 wart?

Rebellion stand auf der Tagesordnung.

Im Bett gehörte ich mir. Ich wurde in Ruhe gelassen, konnte meinen Gedanken nachhängen, phantasieren und Träumen. Stellte ich aber einen Fuß auf den Boden, begannen die Forderungen. In jeder Faser spürte ich:

Ich will nicht.

Meine Peer-Group verstand mich. Die Erwachsenen wirkten auf uns wir verdorrte, angepasste Wesen, die ihre ganzen Träume verkauft haben. So werden wir nie werden. Niemals!

Ich beobachtete und hinterfragte immer noch , so wie ich es schon als Kind getan hatte, aber hinzu kam nun diese Wut und Leere. Ich begann Dinge abzulehnen und verurteilte auch mal. Ganz locker, nebenbei und völlig ohne Anstrengung. Das Wort Hybris hatte ich noch nie gehört. Ich war dagegen. Egal eigentlich wogegen. Ich fand es einfach Sch…..! Es ging ums Prinzip. Jugend ist die Zeit der Überheblichkeit. Nie wieder kann man so leidenschaftlich, so ganz und gar, so ungebrochen überheblich sein.

In der Jugend kostet alles viel Anstrengung, duschen, Pflege im Allgemeinen, Zähne putzen, aber rebellieren war bei mir von einer solch intensiven intrinsischen Motivation geprägt. Mit leidenschaftlicher Leichtigkeit und mit geheimer Freude war ich dagegen.

Bis das Leben mich irgendwann eines Besseren belehrte. Dann kam die Wehmut , so mit 17 Jahren. Mir war es peinlich, wie ich gewesen war. Es gab aber auch auf unheimliche Weise keine Übereinstimmung zwischen meiner 17-jährigen Persönlichkeit und meiner 14-jährigen. Das fühlte sich absurd an. Und dann die Erkenntnis. Der Moment, als ich dachte: „Oh man, irgendwie war ich die letzten Jahre ja schon schräg drauf. Was habe ich meinen Eltern nur zugemutet?“ Dann zog ich schon aus und ging meinen eigenen Weg. Der Sturm legte sich scheinbar, wurde zumindest flacher. Ich musste nicht mehr dagegen sein. Der Kampf war gekämpft, ich hatte scheinbar gewonnen. Dann irgendwann wurde ich selbst Mutter. Ich meine, bei meiner Mutter schon gelegentlich eine gewisse Genugtuung sehen zu können. Als würde sie denken: „Jetzt bekommst du das, was du verdient hast.“ War ich wirklich so schlimm?

Aber auch jetzt mag ich es noch einfach mal dagegen zu sein, einfach mal etwas provokatives zu sagen, nicht, weil ich es wirklich glaube und die Meinung wirklich vertrete, sondern einfach nur, weil es provokativ ist. Das macht Spaß. Einfach mal nicht funktionieren. Einfach mal irgendetwas nicht erledigen, Termine verstreichen lassen, Telefonate nicht annehmen, Menschen einen Tag vor und einen Tag nach ihren Geburtstag liebe Worte schenken, aber eben nicht an ihrem Geburtstag.

Rebellion ist im Grunde nur eine Form der Abgrenzung.

Bei vielen Menschen ist es der erste Schritt zur Fähigkeit sich abzugrenen. Wenn die Rebellion aber nachlässt und sich die Ruhe nach der Pubertät einstellt, bedeutet das noch lange nicht, dann man als Mensch in der Lage ist sich abzugrenzen. Ein stürmisches Abgrenzen in der Pubertät ist sicher hilfreich, um sich auch später zu positionieren. Vielen Manschen fällt es auch im höheren Alter noch schwer sich abzugrenzen. Aus unterschiedlichsten Gründen. Finanzielle und/oder emotionale Abhängigkeit, fehlende Strategien und/oder Kommunikationstechniken, fehlender Mut oder Bewusstsein, der eigenen Identität. Wenn Jugendlichen in dieser schwierigen Zeit traumatische Erlebnisse widerfahren, kann das auch dazu führen, dass sie das Gefühl haben nicht rebellieren zu können oder zu dürfen, z.B. wenn jemand stirbt, Eltern sich trennen. Es gibt zahllose Gründe und doch laufen sie alle auf das eine zu. Man kann nicht „Nein“ oder „Stop“ sagen. Und man kann aber auch nicht beherzt „Ja“ sagen.

Mir begegnen ständig Menschen, die damit Probleme haben. Was aber macht es aus einem Menschen, der sich nicht abgrenzen kann?

Wer sich nicht abgrenzen kann, hat meist das starke Gefühl, keine Kontrolle über das eigene Leben zu haben. Man fühlt sich fremdbestimmt und wie ein Gast im eigenen Zuhause. Man macht Dinge, die man nicht machen will, ärgert sich dann darüber, dass man wieder nicht „Nein“ gesagt hat und frisst es in sich hinein. Das kann dann zu einer Stagnation und Starre führen, aus der es schwer ist, heraus zu gelangen. Passivität macht sich breit und hält einen an unsichtbaren Ketten gefangen.

Außerdem kann man sich auch nicht gänzlich verbinden. Die Tiefe der Verbindung ist von der Fähigkeit abhängig sich auf die Polaritäten einzulassen, sie auszuleben. Können wir uns abgrenzen und jemandem sagen: „Ich will das nicht. Ich brauche gerade etwas ganz anderes.“ Dann sind wir auch  in der Lage der gleichen Person zu sagen: „Jetzt will ich es und ich will es auf diese bestimmte Art und Weise.“ Zweitere Variante vermittelt uns selbst als handelnder Person das Gefühl, dass wir unser Leben aktiv steuern können. Dies wiederum spüren wir als Selbstbestimmung. Wer von sich weiß, dass er selbstbestimmt durchs Leben geht, der weiß, dass er alles, was er macht, freiwillig macht. Nichts unterliegt mehr einem Zwang. Alles was wir freiwillig machen, macht mehr Spaß, es macht mehr Freude. Wir sind da wo wir sind glücklicher.

Deswegen liebe ich es insgeheim, wenn Menschen leidenschaftlich: „Nein“ sagen können (auch, wenn sie es zu mir sagen) und mag es Menschen dabei zu beobachten, wenn sie es lernen.

Und anders als Frida Gold sage ich, nicht „Liebe ist meine Rebellion“ sondern „Rebellion ist meine Liebe.“

Bist du auch ein Rebell, eine Rebellin?

Bye

Nicole Scharf

Dies Gedicht schrieb ich, als ich damals in meiner ersten Rebellionsphase, der Pubertät, war.

Ich kann nicht, also muss ich. 

Geradezu kindlich muss ich bis an sie Grenze gehen.

Gefangen in den mir selbst auferlegten Zwängen

Ich muss, also kann ich nicht.

Die mir oktroyierte Enge und Begrenztheit schränkt mich ein.

Ich kann nicht atmen.

Ich kann, also muss ich nicht.

Durch das Wissen der Unbegrenztheit der Möglichkeiten

habe ich das Gefühl der Zwanglosigkeit verinnerlicht.

Ich muss nicht , also kann ich 

Gedankliche und gefühlte Ehrlichkeit

lässt mich in Freiheit sicher leben.

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